Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832), Deutscher Dichter und Dramatiker, Naturforscher - Mystiker Der Appell an die Nachwelt entspringt aus dem reinen lebendigen Gefühl, daß es ein Unvergängliches gebe und, wenn auch nicht gleich anerkannt, doch zuletzt aus der Minorität sich der Majorität werde zu erfreuen haben. Die französischen Worte sind nicht aus geschriebenen lateinischen Worten entstanden, sondern aus gesprochenen. Um die alten, abgeschmacktesten locos communes [Gemeinplätze] der Menschheit durchzupeitschen, hat Klopstock Himmel und Hölle, Sonne, Mond und Sterne, Zeit und Ewigkeit, Gott und Teufel aufgeboten. Es gibt problematische Naturen, die keiner Lage gewachsen sind, in der sie sich befinden, und denen keine genugtut. Daraus entsteht der ungeheure Widerstreit, der das Leben ohne Genuß verzehrt. Wenn man den menschlichen Geist von einer Hypothese befreit, die ihn unnötig einschränkte, die ihn zwang, falsch oder halb zu sehen, falsch zu kombinieren, anstatt zu schauen zu grübeln, anstatt zu urteilen zu sophistisieren, so hat man ihm schon einen großen Dienst erzeigt. Alle Gesetze sind von Alten und Männern gemacht. Junge und Weiber wollen die Ausnahme, Alte die Regel. Wenn mir eine Sache mißfällt, so laß ich sie liegen oder mache sie besser. Neuere Poeten tun viel Wasser in die Tinte. Die ungeheuerste Kultur, die der Mensch sich geben kann, ist die Überzeugung, daß die andern nicht nach ihm fragen. Die Mathematiker sind eine Art Franzosen: redet man zu ihnen, so übersetzen sie es in ihre Sprache, und dann ist es alsobald ganz etwas anders. Steine sind stumme Lehrer. Sie machen den Beobachter stumm, und das Beste, was man von ihnen lernt, ist nicht mitzuteilen. Unser ganzes Kunststück besteht darin, daß wir unsere Existenz aufgeben, um zu existieren. Das Falsche hat den Vorteil, daß man immer darüber schwätzen kann; das Wahre muß gleich genutzt werden, sonst ist es nicht da. Wenn man älter wird, muß man mit Bewußtsein auf einer gewissen Stufe stehenbleiben. Lüsternheit: Spiel mit dem zu Genießenden, Spiel mit dem Genossenen. Der wunderbarste Irrtum aber ist derjenige, der sich auf uns selbst und unsere Kräfte bezieht: daß wir uns einem würdigen Geschäft, einem ehrsamen Unternehmen widmen, dem wir nicht gewachsen sind, daß wir nach einem Ziel streben, das wir nie erreichen können. Die daraus entspringende tantalisch-sisyphische Qual empfindet jeder nur um desto bitterer, je redlicher er es meinte. Aus vielen Skizzen endlich ein Ganzes hervorzubringen, gelingt selbst den Besten nicht immer. Ein jeder, weil er spricht, glaubt, auch über die Sprache sprechen zu können. Im Idealen kommt alles auf die élans, im Realen auf die Beharrlichkeit an. Man erkennt niemand an als den, der uns nutzt. Die Wahrheit gehört dem Menschen, der Irrtum der Zeit an. Plastik wirkt eigentlich nur auf ihrer höchsten Stufe; alles Mittlere kann wohl aus mehr denn einer Ursache imponieren, aber alle mittleren Kunstwerke dieser Art machen mehr irre, als daß sie erfreuen. Die Bildhauerkunst muß sich daher noch ein stoffartiges Interesse suchen, und das findet sie in den Bildnissen bedeutender Menschen. Aber auch hier muß sie schon einen hohen Grad erreichen, wenn sie zugleich wahr und würdig sein will. Einem bejahrten Manne verdachte man, daß er sich noch um junge Frauenzimmer bemühte. "Es ist das einzige Mittel", versetzte er, "sich zu verjüngen, und das will doch jedermann." Erkenne dich selbst! . heißt ganz einfach: Gib einigermaßen acht auf dich selbst, nimm Notiz von dir selbst, damit du gewahr werdest, wie du zu deinesgleichen und der Welt zu stehen kommst! Hiezu bedarf es keiner psychologischen Quälereien; jeder tüchtige Mensch weiß und erfährt, was es heißen soll; es ist ein guter Rat, der einem jeden praktisch zum größten Vorteil gedeiht. Das Erlebte weiß jeder zu schätzen, am meisten der Denkende und Nachsinnende im Alter; er fühlt mit Zuversicht und Behaglichkeit, daß ihm das niemand rauben kann. Um unerkannt in der Welt umherzugehen, müßte man nur niemand wehe tun. Wie in Rom außer den Römern noch ein Volk von Statuen war, so ist außer dieser realen Welt noch eine Welt des Wahns, viel mächtiger beinahe, in der die meisten leben. Es ist was Schreckliches um einen vorzüglichen Mann, auf den sich die Dummen was zugute tun. Gewissen Geistern muß man ihre Idiotismen lassen. Wer Maximen bestreiten will, sollte fähig sein, sie recht klar aufzustellen und innerhalb dieser Klarheit zu kämpfen, damit er nicht in den Fall gerate, mit selbstgeschaffenen Luftbildern zu fechten. Man weicht der Welt nicht sicherer aus als durch die Kunst, und man verknüpft sich nicht sicherer mit ihr als durch die Kunst. Vor zwei Dingen kann man sich nicht genug in acht nehmen: beschränkt man sich in seinem Fache, vor Starrsinn, tritt man heraus, vor Unzulänglichkeit. Eitelkeit ist eine persönliche Ruhmsucht: man will nicht wegen seiner Eigenschaften, seiner Verdienste, Taten geschätzt, geehrt, gesucht werden, sondern um seines individuellen Daseins willen. Am besten kleidet die Eitelkeit deshalb eine frivole Schöne. Ist denn die Welt nicht schon voller Rätsel genug, daß man die einfachsten Erscheinungen auch noch zu Rätseln machen soll? Ich bin überzeugt, daß die Bibel immer schöner wird, je mehr man sie versteht, das heißt, je mehr man einsieht und anschaut, daß jedes Wort, das wir allgemein auffassen und im besondern auf uns anwenden, nach gewissen Umständen, nach Zeit- und Ortsverhältnissen einen eigenen, besondern, unmittelbar individuellen Bezug gehabt hat. Sowenig nun die Dampfmaschinen zu dämpfen sind, sowenig ist dies auch im Sittlichen möglich: die Lebhaftigkeit des Handels, das Durchrauschen des Papiergelds, das Anschwellen der Schulden, um Schulden zu bezahlen, das alles sind die ungeheuern Elemente, auf die gegenwärtig ein junger Mann gesetzt ist. Die Schönheit kann nie über sich selbst deutlich werden. Die Kirche schwächt alles, was sie anrührt. Es darf sich einer nur für frei erklären, so fühlt er sich denselben Augenblick als bedingt. Wagt er es, sich für bedingt zu erklären, so fühlt er sich frei. Verschiedene Sprüche der Alten, die man sich öfters zu wiederholen pflegt, hatten eine ganz andere Bedeutung, als man ihnen in späteren Zeiten geben möchte. Die Deutschen der neueren Zeit haben nichts anders für Denk- und Preßfreiheit gehalten, als daß sie sich einander öffentlich mißachten dürfen. Die Menschen sind durch die unendlichen Bedingungen des Erscheinens dergestalt obruiert, daß sie das e i n e Urbedingende nicht gewahren können. Der Wolf im Schafpelze ist weniger gefährlich als das Schaf in irgendeinem Pelze, wo man es für mehr als einen Schöps nimmt. Begriff ist Summe, Idee Resultat der Erfahrung; jene zu ziehen, wird Verstand, dieses zu erfassen, Vernunft erfordert. Irren heißt, sich in einem Zustande befinden, als wenn das Wahre gar nicht wäre; den Irrtum sich und andern entdecken, heißt rückwärts erfinden. Durch das, was wir Betragen und gute Sitten nennen, soll das erreicht werden, was außerdem nur durch Gewalt oder auch nicht einmal durch Gewalt zu erreichen ist. Aber die Kreise des Wahren berühren sich unmittelbar; aber in den Intermundien hat der Irrtum Raum genug, sich zu ergehen und zu walten. Der lebendige begabte Geist, sich in praktischer Absicht ans Allernächste haltend, ist das Vorzüglichste auf Erden. Man mag noch so eingezogen leben, so wird man, ehe man sich's versieht, ein Schuldner oder ein Gläubiger. Sie peitschen den Quark, ob nicht etwa Creme daraus werden wolle. Was nun die Menschen gesetzt haben, das will nicht passen, es mag recht oder unrecht sein; was aber die Götter setzten, das ist immer am Platz, recht oder unrecht. Unser Anteil an öffentlichen Angelegenheiten ist meist nur Philisterei. Eigentlichster Wert der sogenannten Volkslieder ist der, daß ihre Motive unmittelbar von der Natur genommen sind. Dieses Vorteils aber könnte der gebildete Dichter sich auch bedienen, wenn er es verstünde. Der Alte verliert eins der größten Menschenrechte: er wird nicht mehr von seinesgleichen beurteilt. Aber man muß wissen, wo man steht und wohin die andern wollen. Ein jeder leidet, der nicht für sich selbst handelt. Man handele für andere, um mit ihnen zu genießen. Der Mensch begreift niemals, wie anthropomorphisch er ist. Schönheit und Geist muß man entfernen, wenn man nicht ihr Knecht werden will. Alle Menschen, wie sie zur Freiheit gelangen, machen ihre Fehler geltend: die Starken das Übertreiben, die Schwachen das Vernachlässigen. Lessing, der mancherlei Beschränkung unwillig fühlte, läßt eine seiner Personen sagen: Niemand muß müssen. Ein geistreicher frohgesinnter Mann sagte: Wer will, der muß. Ein dritter, freilich ein Gebildeter, fügte hinzu: Wer einsieht, der will auch. Und so glaubte man den ganzen Kreis des Erkennens, Wollens und Müssens abgeschlossen zu haben. Aber im Durchschnitt bestimmt die Erkenntnis des Menschen, von welcher Art sie auch sei, sein Tun und Lassen; deswegen auch nichts schrecklicher ist, als die Unwissenheit handeln zu sehen. Das Besondere unterliegt ewig dem Allgemeinen; das Allgemeine hat ewig sich dem Besondern zu fügen. Theorien sind gewöhnlich Übereilungen eines ungeduldigen Verstandes, der die Phänomene gern los sein möchte und an ihrer Stelle deswegen Bilder, Begriffe, ja oft nur Worte einschiebt. Wollte aber jemand die Künste verachten, weil sie der Natur nachahmen, so läßt sich darauf antworten, daß die Naturen auch manches andere nachahmen, daß ferner die Künste nicht das geradezu nachahmen, was man mit Augen siehet, sondern auf jenes Vernünftige zurückgehen, aus welchem die Natur bestehet und wornach sie handelt. Das radikale Übel: daß jeder gern sein möchte, was er sein könnte, und die übrigen nichts, ja nicht wären. Das Gemeine muß man nicht rügen; denn das bleibt sich ewig gleich. Das Genie übt eine Art Ubiquität aus, ins Allgemeine vor, ins Besondere nach der Erfahrung. Kenne ich mein Verhältnis zu mir selbst und zur Außenwelt, so heiß' ich's Wahrheit. Und so kann jeder seine eigene Wahrheit haben, und es ist doch immer dieselbige. Einen gerüsteten, auf die Defensive berechneten Zustand kann kein Staat aushalten. Alle Manifestationen der Wesenheiten sind verwandt. Es steht manches Schöne isoliert in der Welt, doch der Geist ist es, der Verknüpfungen zu entdecken und dadurch Kunstwerke hervorzubringen hat. Anaxagoras lehrt, daß alle Tiere die tätige Vernunft haben, aber nicht die leidende, die gleichsam der Dolmetscher des Verstandes ist. Wenn der Knabe zu begreifen anfängt, daß einem sichtbaren Punkte ein unsichtbarer vorhergehen müsse, daß der nächste Weg zwischen zwei Punkten schon als Linie gedacht werde, ehe sie mit dem Bleistift aufs Papier gezogen wird, so fühlt er einen gewissen Stolz, ein Behagen. Und nicht mit Unrecht; denn ihm ist die Quelle alles Denkens aufgeschlossen, Idee und Verwirklichtes, potentia et actu, ist ihm klargeworden; der Philosoph entdeckt ihm nichts Neues; dem Geometer war von seiner Seite der Grund alles Denkens aufgegangen. Es gibt nur zwei wahre Religionen, die eine, die das Heilige, das in und um uns wohnt, ganz formlos, die andere, die es in der schönsten Form anerkennt und anbetet. Alles, was dazwischen liegt, ist Götzendienst. Wir brauchen in unserer Sprache ein Wort, das, wie Kindheit sich zu Kind verhält, so das Verhältnis Volkheit zum Volke ausdrückt. Der Erzieher muß die Kindheit hören, nicht das Kind; der Gesetzgeber und Regent die Volkheit, nicht das Volk. Jene spricht immer dasselbe aus, ist vernünftig, beständig, rein und wahr; dieses weiß niemals für lauter Wollen, was es will. Und in diesem Sinne soll und kann das Gesetz der allgemein ausgesprochene Wille der Volkheit sein, ein Wille, den die Menge niemals ausspricht, den aber der Verständige vernimmt und den der Vernünftige zu befriedigen weiß und der Gute gern befriedigt. Doch muß man auch hier bemerken, daß der Schwächere, der leidende Teil gleichfalls auf seine Weise die Preßfreiheit zu unterdrücken sucht, und zwar in dem Falle, wenn er konspiriert und nicht verraten sein will. Ich habe nichts dagegen, wenn man die Farbe sogar zu fühlen glaubt; ihr eigenes Eigenschaftliche würde nur dadurch noch mehr betätigt. Eine tätige Skepsis: welche unablässig bemüht ist, sich selbst zu überwinden, um durch geregelte Erfahrung zu einer Art von bedingter Zuverlässigkeit zu gelangen. Es ist traurig anzusehen, wie ein außerordentlicher Mensch sich gar oft mit sich selbst, seinen Umständen, seiner Zeit herumwürgt, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen. Trauriges Beispiel: Bürger. Eine Romanze ist kein Prozeß, wo ein Definitivurteil sein muß. Wie wir was Großes lernen sollen, flüchten wir uns gleich in unsre angeborne Armseligkeit und haben doch immer etwas gelernt. Das Falsche (der Irrtum) ist meistens der Schwäche bequemer. Die empirisch-sittliche Welt besteht größtenteils nur aus bösem Willen und Neid. Auch einsichtige Menschen bemerken nicht, daß sie dasjenige erklären wollen, was Grunderfahrungen sind, bei denen man sich beruhigen müßte. Ich verwünsche das Tägliche, weil es immer absurd ist. Nur was wir durch mögliche Anstrengung ihm übergewinnen, läßt sich wohl einmal summieren. Das ganze Leben besteht aus Wollen und Nicht-Vollbringen, Vollbringen und Nicht-Wollen. Jetzt, da sich eine Weltliteratur einleitet, hat, genau besehen, der Deutsche am meisten zu verlieren; er wird wohltun, dieser Warnung nachzudenken. Licht und Geist, jenes im Physischen, dieser im Sittlichen herrschend, sind die höchsten denkbaren unteilbaren Energien. Es gibt Menschen, die auf die Mängel ihrer Freunde sinnen; dabei ist nichts zu gewinnen. Ich habe immer auf die Verdienste meiner Widersacher achtgehabt und davon Vorteil gezogen. Die Dunkelheit gewisser Maximen ist nur relativ: nicht alles ist dem Hörenden deutlich zu machen, was dem Ausübenden einleuchtet. Wenn Künstler von Natur sprechen, subintelligieren sie immer die Idee, ohne sich's deutlich bewußt zu sein. Jede große Idee, die als ein Evangelium in die Welt tritt, wird dem stockenden pedantischen Volke ein Ärgernis und einem Viel-, aber Leichtgebildeten eine Torheit. Unter allen Völkerschaften haben die Griechen den Traum des Lebens am schönsten geträumt. Der Mensch wäre nicht der Vornehmste auf der Erde, wenn er nicht zu vornehm für sie wäre. Eine jede Idee tritt als ein fremder Gast in die Erscheinung, und wie sie sich zu realisieren beginnt, ist sie kaum von Phantasie und Phantasterei zu unterscheiden. Jeder hat etwas in seiner Natur, das, wenn er es öffentlich ausspräche, Mißfallen erregen müßte. Frömmigkeit ist kein Zweck, sondern ein Mittel, um durch die reinste Gemütsruhe zur höchsten Kultur zu gelangen. Deswegen läßt sich bemerken, daß diejenigen, welche Frömmigkeit als Zweck und Ziel aufstecken, meistens Heuchler werden. Es ist besser, man betrügt sich an seinen Freunden, als daß man seine Freunde betrüge. Zuerst belehre man sich selbst, dann wird man Belehrung von andern empfangen. Unsere Zustände schreiben wir bald Gott, bald dem Teufel zu und fehlen ein wie das andere Mal: in uns selbst liegt das Rätsel, die wir Ausgeburt zweier Welten sind. Man schont die Alten, wie man die Kinder schont. |