Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832), Deutscher Dichter und Dramatiker, Naturforscher - Mystiker Es bleibt einem jeden immer noch so viel Kraft, das auszuführen, wovon er überzeugt ist. Auch in Wissenschaften kann man eigentlich nichts wissen, es will immer getan sein. Die Hindus der Wüste geloben, keine Fische zu essen. Aufrichtig zu sein kann ich versprechen, unparteiisch zu sein aber nicht. Wer fremde Sprachen nicht kennt, weiß nichts von seiner eigenen. Das Publikum will wie Frauenzimmer behandelt sein: man soll ihnen durchaus nichts sagen, als was sie hören möchten. Die Zeit ist selbst ein Element. Wenn man einige Monate die Zeitungen nicht gelesen hat, und man liest sie alsdann zusammen, so zeigt sich erst, wieviel Zeit man mit diesen Papieren verdirbt. Die Welt war immer in Parteien geteilt, besonders ist sie es jetzt, und während jedes zweifelhaften Zustandes kirrt der Zeitungsschreiber eine oder die andere Partei mehr oder weniger und nährt die innere Neigung und Abneigung von Tag zu Tag, bis zuletzt Entscheidung eintritt und das Geschehene wie eine Gottheit angestaunt wird. Wer das Falsche verteidigen will, hat alle Ursache, leise aufzutreten und sich zu einer feinen Lebensart zu bekennen. Wer das Recht auf seiner Seite fühlt, muß derb auftreten: ein höfliches Recht will gar nichts heißen. Mit den Irrtümern der Zeit ist schwer sich abzufinden: widerstrebt man ihnen, so steht man allein; läßt man sich davon befangen, so hat man auch weder Freude noch Ehre davon. Der Aberglaube ist die Poesie des Lebens; deswegen schadet's dem Dichter nicht, abergläubisch zu sein. Was für Mängel dürfen wir behalten, ja an uns kultivieren? Solche, die den andern eher schmeicheln als sie verletzen. Dem tätigen Menschen kommt es darauf an, daß er das Rechte tue; ob das Rechte geschehe, soll ihn nicht kümmern. Der Mensch, abgesehen von der Herrschaft, in welcher die Passion ihn fesselt, ist noch von manchen notwendigen Verhältnissen gebunden. Wer diese nicht kennt oder in Liebe umwandeln will, der muss unglücklich werden. Toren und gescheite Leute sind gleich unschädlich. Nur die Halbnarren und die Halbweisen, das sind die gefährlichsten. Wer vorsieht, ist Herr des Tags. Das sogenannte Romantische einer Gegend ist ein stilles Gefühl des Erhabenen unter der Form der Vergangenheit. Pflicht: wo man liebt, was man sich selbst befiehlt. Wer streiten will, muß sich hüten, bei dieser Gelegenheit Sachen zu sagen, die ihm niemand streitig macht. Um zu begreifen, daß der Himmel überall blau ist, braucht man nicht um die Welt zu reisen. Wer klare Begriffe hat, kann befehlen. Die Mängel erkennt nur der Lieblose; deshalb, um sie einzusehen, muß man auch lieblos werden, aber nicht mehr, als hiezu nötig ist. Große Leidenschaften sind Krankheiten ohne Hoffnung. Was sie heilen könnte, macht sie erst recht gefährlich. Hypothesen sind Wiegenlieder, womit der Lehrer seine Schüler einlullt. In der Welt kommt's nicht drauf an, daß man die Menschen kenne, sondern daß man im Augenblick klüger sei als der vor uns Stehende. Ein dramatisches Werk zu verfassen, dazu gehört Genie. Am Ende soll die Empfindung, in der Mitte die Vernunft, am Anfang der Verstand vorwalten und alles gleichmäßig durch eine lebhaft-klare Einbildungskraft vorgetragen werden. Ein Unterschied, der dem Verstand nichts gibt, ist kein Unterschied. Die Macht soll handeln, nicht reden. Nicht alles Wünschenswerte ist erreichbar, nicht alles Erkennenswerte erkennbar. Die Geheimnisse der Lebenspfade darf und kann man nicht offenbaren; es gibt Steine des Anstoßes, über die ein jeder Wanderer stolpern muß. Der Poet aber deutet auf die Stelle hin. Allein kann der Mensch nicht wohl bestehen, daher schlägt er sich gern zu einer Partei, weil er da, wenn auch nicht Ruhe, doch Beruhigung und Sicherheit findet. Nicht überall, wo Wasser ist, sind Frösche; aber wo man Frösche hört, ist Wasser. Die Menge fragt bei einer jeden neuen bedeutenden Erscheinung, was sie nutze, und sie hat nicht unrecht; denn sie kann bloß durch den Nutzen den Wert einer Sache gewahr werden. Eine Chronik schreibt nur derjenige, dem die Gegenwart wichtig ist. Die Menschen sind als Organe Ihres Jahrhunderts anzusehen, die sich meist unbewußt bewegen. Innerhalb einer Epoche gibt es keinen Standpunkt, eine Epoche zu betrachten. Die Wahlsprüche deuten auf das, was man nicht hat, wonach man strebt. Man stellt sich solches wie billig immer vor Augen. Alles wahre Aperçu kommt aus seiner Folge und bringt Folge. Es ist ein Mittelglied einer großen, produktiv aufsteigenden Kette. Es ist schwer, gegen den Augenblick gerecht zu sein: Der gleichgültige macht uns Langeweile, am guten hat man zu tragen und am bösen zu schleppen. Autorität: Ohne sie kann der Mensch nicht existieren, und doch bringt sie ebensoviel Irrtum als Wahrheit mit sich. Sie verewigt im Einzelnen, was einzeln vorübergehen sollte, lehnt ab und läßt vorübergehen, was festgehalten werden sollte, und ist hauptsächlich Ursache, daß die Menschheit nicht vom Flecke kommt. Was nicht originell ist, daran ist nichts gelegen; und was originell ist, trägt immer das Gebrechen des Individuums an sich. Wenn der Mensch alles leisten soll, was man von ihm fordert, so muß er sich für mehr halten, als er ist. Die Menschen verdrießt's, daß das Wahre so einfach ist. Die Druckerkunst war schon über hundert Jahre erfunden; dem ungeachtet erschien ein Buch noch als ein Heiliges, wie wir aus dem damaligen Einbande sehen, und so war es dem edlen Dichter lieb und ehrenwert; wir aber broschieren jetzt alles und haben weder vor dem Einbande noch seinem Inhalte Respekt. Der Schulmann, indem er Lateinisch zu schreiben und zu sprechen versucht, kommt sich höher und vornehmer vor, als er sich in seinem Alltagsleben dünken darf. Die Deutschen sollten in einem Zeitraum von dreißig Jahren das Wort Gemüt nicht aussprechen, dann würde nach und nach Gemüt sich wieder erzeugen. Das Wahre fördert; aus dem Irrtum entwickelt sich nichts, er verwickelt uns nur. Der Augenblick ist eine Art von Publikum: man muß ihn betrügen, daß er glaube, man tue was; dann läßt er uns gewähren und im geheimen fortführen, worüber seine Enkel erstaunen müssen. Wir blicken so gern in die Zukunft, weil wir das Ungefähre, was sich in ihr hin und her bewegt, durch stille Wünsche so gern zu unsern Gunsten heranleiten möchten. Jedes ausgesprochene Wort erregt den Gegensinn. Der Umgang mit Frauen ist das Element guter Sitten. Säen ist nicht so beschwerlich als ernten. Zu berichtigen verstehen die Deutschen, nicht nachzuhelfen. Die jungen Leute sind Aperçus der Natur Bei den Kontroversen darauf zu sehen, wer das Punctum saliens getroffen. Mathematik, die auf Konviktion, Überführung ausgeht, weshalb gute Köpfe sich an ihr ärgern. Tüchtiger, tätiger Mann, verdiene dir und erwarte von den Großen - Gnade, von den Mächtigen - Gunst, von Tätigen und Guten - Förderung, von der Menge - Neigung, von dem Einzelnen - Liebe! Unbedingte Tätigkeit, von welcher Art sie sei, macht zuletzt bankerott. Ein ausgesprochnes Wort fordert sich selbst wieder. Mystik: eine unreife Poesie, eine unreife Philosophie; Poesie: eine reife Natur; Philosophie: eine reife Vernunft. Wenn die Jugend ein Fehler ist, so legt man ihn sehr bald ab. Religion: Alte; Poesie: Religion der Jugend. Man muß nicht fürchten, überstimmt zu werden, wenn uns widersprochen wird. Das Jahrhundert ist vorgerückt; jeder Einzelne aber fängt doch von vorne an. Jeden Tag hat man Ursache, die Erfahrung aufzuklären und den Geist zu reinigen. Entstehen und Vergehen, Schaffen und Vernichten, Geburt und Tod, Freud und Leid, alles wirkt durcheinander. In den Zeitungen ist alles Offizielle geschraubt, das übrige platt. Nach Preßfreiheit schreit niemand, als wer sie mißbrauchen will. Herrschen lernt sich leicht, regieren schwer. Wenn ich an meinen Tod denke, darf ich, kann ich nicht denken, welche Organisation zerstört wird. Es gibt Theologen, die wollten, daß es nur einen einzigen Menschen in der Welt gegeben hätte, den Gott erlöst hätte; denn da hätte es keine Ketzer geben können. Man tut immer besser, daß man sich grad ausspricht, wie man denkt, ohne viel beweisen zu wollen; denn alle Beweise, die wir vorbringen, sind doch nur Variationen unserer Meinungen, und die Widriggesinnten hören weder auf das eine noch auf das andere. Gewöhnliches Anschauen, richtige Ansicht der irdischen Dinge ist ein Erbteil des allgemeinen Menschenverstandes; reines Anschauen des Äußern und Innern ist sehr selten. Sich mitzuteilen ist Natur; Mitgeteiltes aufzunehmen, wie es gegeben wird, ist Bildung. Es gibt Bücher, durch welche man alles erfährt und doch zuletzt von der Sache nichts begreift. Die Weisheit ist nur in der Wahrheit. Das Gesetz haben die Menschen sich selbst auferlegt, ohne zu wissen, über was sie Gesetze gaben; aber die Natur haben alle Götter geordnet. Das Urteil können sie verwehren, aber die Wirkung nicht hindern. Es gibt zwei friedliche Gewalten: das Recht und die Schicklichkeit. Keine Nation gewinnt ein Urteil, als wenn sie über sich selbst urteilen kann. Der Schnee ist eine erlogene Reinlichkeit. Zur Methode wird nur der getrieben, dem die Empirie lästig wird. Wenn einem Autor ein Lexikon nachkommen kann, so taugt er nichts. Es ist besser, es geschehe dir Unrecht, als die Welt sei ohne Gesetz. Deshalb füge sich jeder dem Gesetze. Nicht allein das Angeborene, sondern auch das Erworbene ist der Mensch. Was man erfindet, tut man mit Liebe, was man gelernt hat, mit Sicherheit. Wer die Natur als göttliches Organ leugnen will, der leugne nur gleich alle Offenbarung. Vernünftiges und Unvernünftiges haben gleichen Widerspruch zu erleiden. Es ist ein großer Unterschied, ob ich lese zu Genuß und Belebung oder zu Erkenntnis und Belehrung. Alles Lyrische muß im Ganzen sehr vernünftig, im Einzelnen ein bißchen unvernünftig sein. Es ist besser, daß Ungerechtigkeiten gescheh'n, als daß sie auf eine ungerechte Weise gehoben werden. Die Geschichte wie die des Universums, das sie repräsentieren soll, hat einen realen und idealen Teil. In der Gesellschaft sind alle gleich. Es kann keine Gesellschaft anders als auf den Begriff der Gleichheit gegründet sein, keineswegs aber auf den Begriff der Freiheit. Die Gleichheit will ich in der Gesellschaft finden; die Freiheit, nämlich die sittliche, dass ich mich subordinieren mag, bringe ich mit. Das Fürchterlichste ist, wenn platte, unfähige Menschen zu Phantasten sich gesellen. Was aber geschrieben steht, es steht deswegen da, damit es immerfort erfüllt werde. Das Wahre ist gottähnlich: es erscheint nicht unmittelbar, wir müssen es aus seinen Manifestationen erraten. Christliche Mystiker sollte es gar nicht geben, da die Religion selbst Mysterien darbietet. Auch gehen sie immer gleich ins Abstruse. Große, von Ewigkeit her oder in der Zeit entwickelte ursprüngliche Kräfte wirken unaufhaltsam, ob nutzend oder schadend, das ist zufällig. Der Mensch, wenn er auch den Grund des Irrtums aufdeckt, wird den Irrtum selbst deshalb doch nicht los. »Die Natur verbirgt Gott!« Aber nicht jedem! |