Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832), Deutscher Dichter und Dramatiker, Naturforscher - Mystiker Man hat mich immer als einen vom Glück besonders Begünstigten gepriesen; auch will ich mich nicht beklagen und den Gang meines Lebens nicht schelten. Allein im Grunde ist es nichts als Mühe und Arbeit gewesen, und ich kann wohl sagen, daß ich in meinen fünfundsiebzig Jahren keine vier Wochen eigentliches Behagen gehabt. Ich erinnere mich ihrer gleichsam als eines Geistes, als einer schönen, hagern, immer weiß und reinlich gekleideten Frau. Sanft, freundlich, wohlwollend ist sie mir im Gedächtnis geblieben. Die Periode des Zweifels ist vorüber; es zweifelt jetzt so wenig jemand an sich selber als an Gott. Wie kann ein junger Mann sich bilden, der nicht eitel ist? Lebe wohl, Du Einzige, in die ich nichts zu legen brauche, um alles in Dir zu finden. Aller Anfang ist leicht, und die letzten Stufen werden am schwersten und seltensten erstiegen. Geheimnis Über meines Liebchens Äugeln Stehn verwundert alle Leute; Ich, der Wissende, dagegen Weiß recht gut, was das bedeute. Denn es heißt: ich liebe diesen, Und nicht etwa den und jenen. Lasset nur, ihr guten Leute, Euer Wundern, euer Sehnen! Ja, mit ungeheuren Mächten Blicket sie wohl in die Runde; Doch sie sucht nur zu verkünden Ihm die nächste süße Stunde. Die Frömmler habe ich von jeher verwünscht, die Berliner - so wie ich sie kenne - durchaus verflucht; und daher ist es billig, daß sie mich in ihrem Sprengel in den Bann tun. Einer dieses Gelichters wollte mir neulich zu Leibe rücken und sprach von Pantheismus. Da traf er's recht. Ich versicherte ihm mit großer Einfalt, daß mir noch niemand vorgekommen sei, der wisse, was das Wort heiße. Was nicht mehr entsteht, können wir uns als entstehend nicht denken; das Entstandene begreifen wir nicht. In ganz gemeinen Dingen hängt viel von Wahl und Wollen ab; das Höchste, was uns begegnet, kommt wer weiß woher. Das ist des Menschen wunderbar Geschick, Daß bei dem größten Übel noch die Furcht Vor fernerem Verlust ihm übrig bleibt. Den Vorteil aber hat der Weg zum Wahren, daß man sich unsicherer Schritte, eines Umwegs, ja eines Fehltritts noch immer gern erinnert. Ach! an der Erde Brust Sind wir zum Leide da. Mit allem Streben nach Selbsterkenntnis, das die Priester, das die Moralisten uns predigen, kommen wir nicht weiter im Leben, gelangen weder zu Resultaten noch zu wahrer innerer Besserung. Gerettet ist das edle Glied Der Geisterwelt vom Bösen, Wer immer strebend sich bemüht, Den können wir erlösen. Wenn Selbstgefühl sich in Verachtung andrer, auch der geringsten, ausläßt, muß es widrig auffallen. Die Frauen haben eine gewisse Zurückhaltung aus Bescheidenheit, die ihre größte Zierde ist; sie hindert sie, ihre Gefühle frei zu äußern. Überzeugung soll dir niemand rauben; Wer's besser weiß, der mag es glauben. Ich nahm alle Zustände der Personen, meine Kollegen zum Beispiel durchaus real, als gegebene, einmal fixierte Naturwesen, die nicht anders handeln können, als sie handeln, und ordnete hiernach meine Verhältnisse zu ihnen. Man muß etwas zu sagen haben, wenn man reden will. Ich bedaure immer unsere guten Kanzelmänner, welche sich eine seit fast zweitausend Jahren durchgedroschene Garbe zum Gegenstand ihrer Tätigkeit wählen müssen. Wenn Sie glauben, sich richtig zu beurteilen, so würde ich raten, eine Tätigkeit aufzugeben, die Ihnen keine Befriedigung gewähren will. Man soll jedoch von eignen und fremden Fehlern niemals, am wenigsten öffentlich reden, wenn man nicht dadurch etwas Nützliches zu bewirken denkt. Eigentlich unternehmen wir umsonst, das Wesen eines Dinges auszudrücken. Wirkungen werden wir gewahr, und eine vollständige Geschichte dieser Wirkungen umfaßte wohl allenfalls das Wesen jenes Dinges. Nach bestimmten Gesetzen treten wir ins Leben ein, die Tage sind gezählt, die uns zum Anblicke des Lichts reif machen, aber für die Lebensdauer ist kein Gesetz. Der schwächste Lebensfaden zieht sich in unerwartete Länge, und den stärksten zerschneidet gewaltsam die Schere einer Parze, die sich in Widersprüchen zu gefallen scheint. Kein Mann ist imstande, den Wert eines Weibes zu fühlen, das sich zu ehren weiß. Die Masse könnt Ihr nur durch Masse zwingen, Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus. Ich darf sagen, ich kam nie leer zurück, wenn ich unter Druck und Not Gott gesucht hatte. Verweilst du in der Welt, sie flieht als Traum, Du reisest, ein Geschick bestimmt den Raum; Nicht Hitze, Kälte nicht vermagst du festzuhalten, Und was dir blüht, sogleich wird es veralten. .und manches Übel flüchtet vor der Heiterkeit. Thoas: Du glaubst, es höre Der rohe Skythe, der Barbar, die Stimme Der Wahrheit und der Menschlichkeit, die Atreus, Der Grieche, nicht vernahm? Iphigenie: Es hört sie jeder, Geboren unter jedem Himmel, dem Des Lebens Quelle durch den Busen rein Und ungehindert fließt. Laß nur die Sorge sein, Das gibt sich alles schon; Und fällt der Himmel ein, Kommt doch eine Lerche davon. Mit dieser Welt ist's keiner Wege richtig; Vergebens bist du brav, vergebens tüchtig, Sie will uns zahm, sie will sogar uns nichtig! Erfahrung bleibt die beste Wünschelrute. Gott hat die Gradheit selbst ans Herz genommen, Auf gradem Weg ist niemand umgekommen. Wenn man eine Sache mit Klarheit zu behandeln vermag, ist man auch zu vielen andern Dingen tauglich. Die Bosheit sucht keine Gründe, nur Ursachen. Seitdem man die Bücher rezensiert, liest sie kein Mensch außer dem Rezensenten, und der auch so so. Spruch, Widerspruch Ihr müßt mich nicht durch Widerspruch verwirren! Sobald man spricht, beginnt man schon zu irren. Isoliert kommt der Mensch nie zum Ziele. Wer schweigt, hat wenig zu sorgen, Der Mensch bleibt unter der Zunge verborgen. Man kann den Hochverrat nicht schrecklich gnug bestrafen. Die Kinderschuhe treten sich von selbst aus, wenn sie einem zu eng werden. Der Despotismus befördert die Autokratie eines jeden, indem er von oben bis unten hinab es einem jeden in die Schuhe schiebt. Was uns aber zu strengen Forderungen, zu entschiedenen Gesetzen am meisten berechtigt, ist: daß gerade das Genie, das angeborne Talent sie am ersten begreift, ihnen den willigsten Gehorsam leistet. Nur das Halbvermögen wünschte gern seine beschränkte Besonderheit an die Stelle des unbedingten Ganzen zu setzen. . Mit dem Genie haben wir am liebsten zu tun, denn dieses wird eben von dem guten Geiste beseelt, bald zu erkennen, was ihm nutz ist. Es begreift, daß Kunst eben darum Kunst heiße, weil sie nicht Natur ist. Warum mir aber in neuster Welt Anarchie gar so wohl gefällt? Ein jeder lebt nach seinem Sinn, Das ist nun also auch mein Gewinn. Ich laß einem jeden sein Bestreben, Um auch nach meinem Sinne zu leben. Charakter ist eigentlich vor aller Gewöhnung und Gewohnheit. Handle besonnen, ist die praktische Seite von: Erkenne dich selbst. Der Kopf faßt kein Kunstprodukt als nur in Gesellschaft mit dem Herzen. Ein Kranz ist gar viel leichter binden, Als ihm ein würdig Haupt zu finden. Wer bei seinen Arbeiten nicht schon ganz seinen Lohn dahin hat, ehe das Werk öffentlich erscheint, der ist übel dran. Der Charakter ersetzt nicht das Wissen, aber er suppliert es. Man unterhält sich manchmal mit einem gegenwärtigen Menschen als mit einem Bilde. Er braucht nicht zu sprechen, uns nicht anzusehen, sich nicht mit uns zu beschäftigen; wir sehen ihn, wir fühlen unser Verhältnis zu ihm, ja sogar unsere Verhältnisse zu ihm können wachsen, ohne daß er etwas dazu tut, ohne daß er etwas davon empfindet, daß er sich eben bloß zu uns wie ein Bild verhält. Akademie ist Akademie, Bohlheim, Berlin oder Paris, wo die satten Herren sitzen, die Zähne stochern und nicht begreifen, warum kein Koch was bereiten kann, das ihnen behage. Wie kann man so dumm aussehen, wenn man es nicht ist? Wahrhaft Liebende betrachten alles, was sie bisher empfunden, nur als Vorbereitung zu ihrem gegenwärtigen Glück. Das Alter trennt uns nach und nach von empfänglichen Menschen, selten kehrt ein Klang und Ton, den man aussendet, lebhaft und ergötzlich zurück. Beobachten Sie mit Unbefangenheit, legen Sie den Dingen nichts von dem Ihrigen bei und unter. Willst du mit reinem Gefühl der Liebe Freuden genießen, O laß Frechheit und Ernst ferne vom Herzen dir sein. Der Philister negiert nicht nur andere Zustände, als der seinige ist, er will auch, daß alle übrigen Menschen auf seine Weise existieren sollen. Das Leben ist ein Gänsespiel: Je mehr man vorwärts gehet, Je früher kommt man an das Ziel. Wo niemand gerne stehet. Man sagt, die Gänse wären dumm, O glaubt mir nicht den Leuten: Denn eine sieht einmal sich rum, Mich rückwärts zu bedeuten. Ganz anders ist's in dieser Welt. Wo alles vorwärts drücket, Wenn einer stolpert oder fällt. Keine Seele rückwärts blicket. Was ist ein Philister? Ein hohler Darm, Mit Furcht und Hoffnung ausgefüllt. Daß Gott erbarm! Das Unzulängliche ist produktiv. Ich schrieb meine Iphigenia aus einem Studium der griechischen Sachen, das aber unzulänglich war. Wenn es erschöpfend gewesen wäre, so wäre das Stück ungeschrieben geblieben. Man leugnete stets, und man leugnet mit Recht, Daß je sich der Adel erlerne. Ein Schauspiel für Götter, Zween Liebende zu sehn! Das liebste Frühlingswetter Ist nicht so warm, so schön. An den ältesten Männern und Schulen gefiel mir am besten, daß Poesie, Religion und Philosophie ganz in eins zusammenfielen, Man weiß nur zu verbieten, zu hindern und abzulehnen, selten aber zu gebieten, zu befördern und zu belohnen. Bedenke nicht; gewähre, wie du's fühlst. Ich rechte mit den Göttern nicht, allein Der Frauen Zustand ist beklagenswert. Der Mensch ist nicht geboren, frei zu sein. Gedichte sind gemalte Fensterscheiben. Das Wort Freiheit klingt so schön, daß man es nicht entbehren könnte, und wenn es einen Irrtum bezeichnete. Aristokratismus im eigentlichen Sinne ist das Einzige und Rechte. Es kommt doch oft nur darauf an, daß die Menschen sich durch einen Dritten begreifen lernen. Es liegt in der deutschen Natur, alles Ausländische in seiner Art zu würdigen und sich fremder Eigentümlichkeit zu bequemen. Daß doch die Jugend immer zwischen den Extremen schwankt! Ich finde nichts natürlicher, als alles zu verbinden, was uns Vergnügen und Vorteil bringt. Die Hausnarren des Tages wollen den Adel aufgehoben sehen, als wenn es möglich wäre, daß ein tüchtiger Mann von tüchtigen Vorfahren etwas verlieren könnte. Der Mensch findet sich mitten unter Wirkungen und kann sich nicht enthalten, nach den Ursachen zu fragen; als ein bequemes Wesen greift er nach der nächsten als der besten und beruhigt sich dabei; besonders ist dies die Art des allgemeinen Menschenverstandes. "Deine Zöglinge möchten dich fragen: Lange lebten wir gern auf Erden, Was willst du uns für Lehre sagen?" Keine Kunst ist's, alt zu werden, Es ist Kunst, es zu ertragen. Das Rechte, das ich viel getan, Das ficht mich nun nicht weiter an, Aber das Falsche, das mir entschlüpft, Wie ein Gespenst mir vor Augen hüpft. Der Achse wird mancher Stoß versetzt, Sie rührt sich nicht - und bricht zuletzt. Zuerst im stillsten Raum entsprungen, Das Lied erklingt von Ort zu Ort: Wie es in Seel und Geist erklungen, So hallt's nach allen Zeiten fort. Sie sind dir alle zu Kohlen geraten. Ein Lump bleibt freilich ein Lump, und eine kleinliche Natur wird durch einen selbst täglichen Verkehr mit der Großheit antiker Gesinnung um keinen Zoll größer werden. Man muß seinen Nebenbuhlern doch einigermaßen gleich sein, wenn man sie nicht hassen soll. Nun glaub ich auf dem rechten Wege zu sein, da ich mich immerfort als einen Reisenden betrachte, der vielem entsagt, um vieles zu genießen. Ich halte mich fest und fester an die Gottesverehrung des Atheisten [Spinoza] und überlasse euch alles, was ihr Religion heißt und heißen müßt. Wenn ich Gott aufrichtig suchte, so ließ er sich finden und hielt mir von vergangenen Dingen nichts vor. Ich sah wohl ein, wo ich unwürdig gewesen, und wußte auch, wo ich es noch war; aber die Erkenntnis meiner Gebrechen war ohne alle Angst. Noch nach mehreren hundert Jahren wird in Nordamerika der Engländer, der Franzose, der Deutsche gar wohl zu erkennen sein. Mich verwirren will das Irren; Doch du weißt mich zu entwirren. Wenn ich handle, wenn ich dichte, Gib du meinem Weg die Richte. Die Freundschaft ist gerecht, sie kann allein Den ganzen Umfang deines Werts erkennen. Nicht allen Menschen ist es eigentlich um ihre Bildung zu tun; viele wünschen nur so ein Hausmittel zum Wohlbefinden, Rezepte zum Reichtum und zu jeder Art von Glückseligkeit. Welch Glück ist's ein leichtes, ein freyes Herz zu haben! Muth treibt uns an Beschweerlichkeit, an Gefahren; aber grose Freuden werden nur mit groser Mühe erworben. Was ein junger Mensch geschrieben hat, wird auch wieder am besten von jungen Leuten genossen werden. Mit den Menschen geht mir es schon besser, man muß sie nur mit dem Krämergewicht, keineswegs mit der Goldwaage wiegen, wie es leider sogar oft Freunde untereinander aus hypochondrischer Grille und seltsamer Anforderung zu tun pflegen. |